www Historische 2 Schwan Jugendstil
Beliebte Motive Ende des 19. Jahrhunderts (Fotos: Schittek)

Fliesen & Beläge 2013-07-22T00:00:00Z Historische Fliesen/Teil 2: Weg in die Moderne

Ab zirka 1885 gab es den künstlerischen Umbruch des Jugendstils: Man wollte zurück zu handwerklichen oder teilhandwerklichen Produktionsformen. Verspielte, schnörkelige Formen gab es überall, Schwäne, Seerosen, und Frauenköpfe waren beliebte Motive. (Foto: Schittek)

Die aufwändig dekorierten Relieffliesen waren teuer und hauptsächlich für das wohlhabende Publikum. Für alle anderen produzierte man bedruckte Ware in ähnlicher Ornamentik. Schon um 1900 gab es eine riesengroße Auswahl an Fliesenmustern und -farben.
Bäder wurden jedoch nur für das reiche Großbürgertum eingerichtet. Alle Normalbürger mussten noch bis weit in die 1930er Jahre warten. Sie waren glücklich wenn sie Kaltwasser in der Küche hatten und eine Etagentoilette mit dem Nachbarn teilen konnten.
Mit dem ersten Weltkrieg ebbte der Jugendstil ab und es begann der Weg in die Moderne. Es gab schmucklose Standardfliesen, alle im Format 15 x 15 Zentimeter: Ein weißgelblich schamottierter Ton wurde ohne jedes Dekor mit einer transparenten Glasur überzogen. Diese preiswerte „Industriefliese“ produzierten fast alle Hersteller in großen Mengen, auch weiß und elfenbein stand zur Verfügung.
Bei der sogenannten besseren Ware waren die Glasuren seidenmatt mit gedeckten Farbtönen, schlicht oder geflammt. Relieffliesen, Dekore oder schwarze Bänder lockerten vereinzelt die Flächen auf. Es gab keine geschwungenen Linien mehr sondern abstrakte Formen (kubistischer Stil) finden sich auf den wenigen kunsthandwerklichen Fliesen in der kurzen Zeit des Art Deco.
Als Böden gab es unglasierte, durchgefärbte Steinzeugfliesen, trocken gepresst. Diese Art Fliesen – auch bei stärkster Beanspruchung unverwüstlich – sind von fast allen deutschen Bodenfliesenherstellern von etwa 1930 bis in die Neuzeit gefertigt worden. Ihr Einsatzbereich war zum Beispiel vor Ladenkassen, in Eingangsbereichen oder Kasernen.

www Wandfliesen ca. 1930 Seidenmatt. Bordüre mit Ecken und Kante
Seidenmatte Wandfliesen aus den 1930er Jahren

In den Formaten 10 x 10 und 15 x 15 Zentimeter gab es für die Grundfliesen eine große Auswahl an Zubehör wie Formstücke für Ecken und Kanten, Treppenauftritte mit Riffeln und Rundungen; für den Wand- und Bodenübergang Hohlkehlsockel, Rinnenfliesen, Kehlsockel, Innen- und Außennippel für Ecken und Kanten, Balkonrandsteine und vieles mehr. Diese Produktvielfalt war einzigartig und typisch für die damalige deutsche Gründlichkeit und Perfektion.
Abnehmer dieser Fliesen waren hauptsächlich Behörden, Fabriken, Krankenhäuser und Gewerbe. Die Senkung der Plattenstärke von ehemals zehn auf acht Millimeter und später sechs Millimeter hatte durch die geringeren Gewichte einen nicht unerheblichen Einfluss auf Transport und Export. Selbst heute noch sieht man sie in so manchem Discounter neu verlegt.
1935 wurde das Fliesenlegerhandwerk zum Vollhandwerk erklärt und der Meistertitel eingeführt. Bis zum zweiten Weltkrieg hatten die Wenigsten ein Bad, für die Eigentümer der Etagenwohnungen war dies nur ein unnötiger Kostenfaktor. Hauptsächlich gab es den Kohlebadeofen mit der freistehenden Wanne, hinter der die Wand mit Ölfarbe gestrichen war. Die große Zeit der gefliesten Bäder und Böden in den Privathäusern begann ab 1960 in der Wirtschaftswunderzeit.

www.fliesenhandel-schittek.de

zuletzt editiert am 11. März 2021