Natürliche Erscheinungsformen und katalogisiertes Schubladendenken sind zwei Sachverhalte, die sich häufig widersprechen. Wer technische Werte von Naturstein beurteilen will, sollte die naturgemäßen Zusammenhänge berücksichtigen. (Foto: Informationsdienst Naturstein/Trier)
Unsere heutige Zeit ist dadurch gekennzeichnet, dass nahezu alles zertifiziert und mit technischen Daten versehen wird. Auch Naturstein ist hiervon nicht verschont geblieben. Es ist durchaus vorteilhaft, wenn Informationen zu gebrauchstechnischen Eigenschaften von Produkten vorhanden sind. Der Nutzer sollte jedoch auch in der Lage sein, diese Daten entsprechend zu interpretieren.
Als Mitherausgeber der „Großen Enzyklopädie der Steine“ werde ich immer wieder darauf angesprochen, Suchfunktionen in die Enzyklopädie einzubauen, mit deren Hilfe man Steine in der Reihenfolge ihrer technischen Werte sortieren kann. Kennt man die Zusammenhänge, wird ganz schnell klar, weshalb eine derartiges „Ranking“ keinen Sinn macht. Es handelt sich hier um Naturprodukte, die immer einer gewissen Bandbreite der technischen Werte unterliegen. Somit hängt es entscheidend davon ab, an welcher Stelle eines Steinbruchs die Prüfkörper entnommen werden. Hier können große Varianzen auftreten. Würde ein Laborversuch als Prüfergebnis einen Druckfestigkeitswert von 165,6 Mpa (Megapascal) ergeben, so wäre dies als ein rein labortechnischer Wert anzusehen, der durch eine Mittelwertbildung zustande gekommen ist. Die tatsächlichen Werte weichen je nach Stein, Bildungsbedingung und Entnahmeort der Proben mit unterschiedlicher Bandbreite von diesem Wert ab. Würde ein derartiger Stein beispielsweise als Bodenbelag in einem privaten Wohnhaus verlegt, so wäre es absolut unerheblich, ob dieser Stein eine Druckfestigkeit von 165,6 Mpa oder 120,0 Mpa aufweist.
Biegezugfestigkeitswerte von Tonschiefern sind enorm
Man sollte die technischen Werte immer in Relation zu dem jeweiligen Bauteil betrachten, für das der Stein eingesetzt wird. Hierzu einige Beispiele: Wer ein hochwertiges Möbelregal mit „Regalbrettern“ aus Schiefer fertigt, kann dieses mit einem Messer anritzen, da Tonschiefer eine geringe Mohshärte aufweisen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es sich um ein „weiches“ Material handelt, das als „Regalbrett“ keine ausreichende Festigkeit aufweist. Die Biegezugfestigkeitswerte von Tonschiefern sind enorm und liegen häufig über 40 Mpa. Betrachtet man im Vergleich hierzu Granite, so liegen deren Werte maximal bei circa 20 Mpa. Tonschiefer sind somit für ein derartiges Bauteil bestens geeignet.
Ein anderes Beispiel: Mayener Basaltlava weist einen sehr hohen Anteil an offenen Gesteinsporen auf und hat auch eine hohe Wasseraufnahme. Würde man hieraus den Rückschluss ziehen, dass dieser Stein für den Einsatz im Außenbereich nicht geeignet wäre, so würde man völlig falsch liegen. Dieser Stein hat ein sehr festes Gefüge und wird deshalb bereits seit Jahrhunderten im Außenbereich schadensfrei verbaut. Bei der Beurteilung von Natursteinen sollte man die technischen Werte und die sich daraus ergebenden gesteinstechnischen Eigenschaften richtig interpretieren. Von einem einzelnen technischen Wert darauf zu schließen, ob ein Stein besser oder schlechter als ein anderer ist, macht in den meisten Fällen keinen Sinn. Hier sollte im Zweifelsfall der Fachmann gefragt werden, der die technischen Daten in den richtigen Gesamtzusammenhang für die jeweilige Bauaufgabe einordnen kann.
